Die Internationale Föderation der Arche, zu der die drei deutschen Arche-Gemeinschaften in Tecklenburg, Ravensburg und Landsberg gehören, hat am 30. Januar 2023 in Paris die Ergebnisse einer Studienkommission veröffentlicht, welche die in 2020 enthüllten Missbrauchsfälle des Arche-Gründers Jean Vanier und seines geistlichen Begleiters Thomas Philippe eingehender untersucht hat. Ziel der Arbeit der Studienkommission war es, die Gründe besser zu verstehen, die Missbrauchsfälle in der Arche möglich machten, und die Gründungsgeschichte der Arche auf diesem Hintergrund neu zu beleuchten.
Der Bericht der unabhängigen Studienkommission stellt dar, dass sich um den Dominikaner Thomas Philippe und Philosophie-Dozenten Jean Vanier eine sektenartige Gruppe gebildet hatte, welche die Missbrauch begünstigende erotisch-mystische „Theologie“ von Thomas Philippe teilte. Diese Gruppe habe sich 1963 in Trosly zusammengefunden, wo ein Jahr später Jean Vanier die erste Arche gründete.
Missbräuchliche Beziehungen
Der Bericht bestätigt, dass 25 volljährige Frauen ohne Behinderung identifiziert wurden, die zwischen 1952 und 2019 zu irgendeinem Zeitpunkt in ihrer Beziehung zu Jean Vanier eine Situation erlebt haben, die eine sexuelle Handlung oder intime Geste beinhaltete. Einige stellten sich als Opfer einer missbräuchlichen Beziehung dar, andere eher als willige Partnerinnen einer regelwidrigen Beziehung. In ihrer Vielfalt sind diese Beziehungen Teil eines Kontinuums von Verwirrung, Einflussnahme und Missbrauch. Die Kommission identifizierte zwei weitere Personen aus dem Kreis um Thomas Philippe, denen Missbrauchstaten vorgeworfen werden. Die Untersuchung bestätigte aber auch, dass Menschen mit geistiger Behinderung von solchen Missbrauchstaten nicht betroffen waren.
Die Studienkommission stellte ebenfalls fest, dass die zahlreichen Personen, die sich nach 1964 der Arche angeschlossen und zu ihrer schnellen weltweiten Verbreitung beigetragen haben, keine Kenntnis von dem sektenähnlichen Kreis um Philippe und Vanier hatten. Außerdem hätten die medizinisch-sozialen Institutionen, in die sich die Arche von Anfang an eingegliedert hat, ihr einen gesetzlichen Rahmen und externe Kontrollorgane gegeben, die sie in eine Richtung lenkten, die mit der Ausbreitung der Missbrauch befördernden sektiererischen Gedanken unvereinbar war. Auch wenn sich die Arche daher weitgehend unabhängig von den abstrusen Theorien und Missbrauchspraktiken ihrer Gründer entwickelt hat, so zeigt die Darstellung der Machtverhältnisse in ihrer Gründungsphase doch mögliche Fallstricke auf, die weiterhin kritisch beleuchtet und für die weitere Arbeit der Arche fruchtbar gemacht werden sollen.
Reaktionen der Arche
Anlässlich der Veröffentlichung des Studienberichts schreiben die Leiter der Internationalen Arche, Stephan Posner und Stacy Cates-Carney, an die Mitglieder der Arche: „Wir sind entsetzt und verurteilen erneut vorbehaltlos die Handlungen von Jean Vanier und Thomas Philippe, die in völligem Widerspruch zu den elementaren Regeln des Respekts und der Integrität von Personen stehen und den Grundprinzipien unserer Gemeinschaften zuwiderlaufen. Wir bitten die Menschen, die Opfer dieses Missbrauchs geworden sind, aufrichtig um Vergebung.“
Seit 2020 arbeitet die Arche in allen ihren Gemeinschaften daran, die Regeln zur Prävention von sexuellem Missbrauch zu verschärfen. Inzwischen wurde ein für alle Arche-Gemeinschaften weltweit geltender Referenzrahmen eingeführt, wie mit Missbrauch jeglicher Art umzugehen ist und wie Arche-Mitglieder dagegen geschützt werden können. Die Internationale Arche hat darüber hinaus eine Meldestelle eingerichtet, die mit der Untersuchung der ihr vorgelegten Fälle beauftragt ist. Diese Stelle setzt sich aus Personen zusammen, die nicht der Arche angehören oder innerhalb der Arche keine operative Verantwortung tragen. Als Zeichen der Anerkennung ihrer Verantwortung für den Missbrauch durch Thomas Philippe und Jean Vanier tritt die Arche zudem der „Kommission für Anerkennung und Wiedergutmachung“ bei, die in Frankreich von der katholischen Kirche eingerichtet wurde und befugt ist, Anträge auf Wiedergutmachung für Missbrauch durch Kleriker oder Laien entgegenzunehmen.
Eine Zusammenfassung des Berichts der Studienkommission ist hier nachzulesen.