Ein Handicap hat jeder – egal ob auf dem Papier oder nicht
Nach ihrem Schulabschluss verbrachte Simone Stollwerk 2012/13 ein Jahr in einer südfranzösischen Gemeinschaft der Arche. Hier berichtet sie, wie ihre anfänglichen Sprachprobleme von der Herzlichkeit der Menschen mit Behinderungen aufgefangen wurden und wie dieses Jahr ihr weiteres Leben entscheidend prägte.
Nach meinem Abitur zog es mich im Sommer 2012 für ein Jahr nach Frankreich. 12 Monate verbrachte ich im Süden des Landes, in einem Foyer der Arche „Le Moulin de l'Auro“ in Isle sur la Sorgue. Mit rund 100 Menschen mit Behinderungen, 50 Angestellten sowie 15 Freiwilligen handelt es sich dabei um eine der größeren Arche-Gemeinschaften.
Aller Anfang ist schwer – erst recht in einer Fremdsprache
Angesichts der Größe der Gemeinschaft war meine Ankunft damals entsprechend beeindruckend. Mit meinen vier Jahren Schulfranzösisch kam ich mir anfangs ziemlich verloren vor. Insbesondere die typisch französischen Namen konnte ich mir zu Beginn gar nicht merken. Auch die Verständigung, gerade mit den Menschen mit Behinderungen, fiel mir schwer. Umso herzlicher war aber ihr Empfang. Allein schon die Freude über mein Ankommen, die mir vom ersten Tag an entgegengetragen wurde, erleichterte mir das Einleben wesentlich. Es war auch diese Herzlichkeit, Offenheit und Gastfreundschaft, die mich in dem ganzen Jahr immer wieder aufs Neue begeisterte. Mit der Zeit stellte sich bei mir das Gefühl ein, dort eine Art zweite Familie gefunden zu haben.
Die Arche als Lebensschule
Während meiner Zeit in der Arche habe ich viel gelernt. In Frankreich sagt man, dass die Arche so etwas wie eine Schule fürs Leben sein kann – dem kann ich nur zustimmen. Unabhängig von den hauswirtschaftlichen Tätigkeiten, die wir als Freiwillige erledigten, habe ich auf der einen Seite viel über mich selbst gelernt: über meine Grenzen, meine Stärken und meine Schwächen. Auf der anderen Seite durfte ich viel über das menschliche Miteinander, insbesondere das gemeinsame Leben, erfahren: das Rücksichtnehmen und vor allem das Annehmen des Anderen mit seinen ganz eigenen Stärken und Schwächen.
Auch war es für mich der erste wirkliche, direkte Kontakt mit Menschen mit Behinderungen. Da hat mir die Devise der Arche hier sehr gut gefallen: Behinderung wird im Französischen mit handicap wiedergegeben. Unabhängig von einem offiziellen Dokument, welches manchen Menschen eine Behinderung bestätigt, hat einfach jeder Mensch sein ganz eigenes Handicap.
Miteinander auf Augenhöhe
Was für mich die Arche ausmacht? Dieses Miteinander auf Augenhöhe, die Wertschätzung, die jedem Menschen – egal ob nun mit oder ohne Behinderungen – entgegengebracht wird und wie man versucht, jedem den passenden Weg zu ebnen. Nicht zu vergessen sind auch der Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl.
Ich habe mich in der Arche schnell zuhause gefühlt. Dabei hat mich – vor allem bei den Menschen mit Behinderungen – die Fähigkeit beeindruckt, immer wieder neue Freiwillige so herzlich aufzunehmen und ihnen ihr Herz zu öffnen, obwohl sie sehr wahrscheinlich in sechs oder zwölf Monaten wieder Abschied nehmen müssen. Auch die Menschen, mit denen ich während meines Freiwilligendienstes nur wenig Kontakt hatte, haben mich bei späteren Besuchen immer gleich wiedererkannt und freundlichst begrüßt.
Weichenstellungen für mein weiteres Leben
Meine Zeit in der Arche hat meinen weiteren Lebensweg stark geprägt: Zum einen habe ich dank meiner dortigen Erfahrungen gemerkt, was ich aus meinem Leben machen möchte: Im Anschluss begann ich ein Studium im Bereich Sozialmanagement, welches ich inzwischen erfolgreich abgeschlossen habe. Zum anderen habe ich während dieses Studiums noch ein Praktikum in der Verwaltung der Arche-Gemeinschaft absolviert. So konnte ich das dortige Leben und Arbeiten auf einer ganz anderen Ebene kennenlernen.
Darüber hinaus habe ich während meines Freiwilligendienstes meinen Freund kennengelernt. Auch er hat später nochmal in der Gemeinschaft gearbeitet. Inzwischen leben wir zusammen in Südfrankreich, wo ich momentan meinen Master mache. Wer weiß, ob uns unser beruflicher Weg früher oder später womöglich in die Arche führt? Auf jeden Fall werden wir als Ehemalige immer mal wieder zu einem Besuch vorbeischauen.